Tuesday, November 29, 2005

Motiv aus dem Film Hoffest


Kamera: Michael Kotschi
Hauptdarsteller: Romanus Fuhrmann

Hoffest, ein Berliner Monolog

Der Theatertext Berlin Stadtbahn von Volker Lüdecke beinhaltet den Monolog Hoffest
Copyright und Aufführungsrechte liegen beim Autor. Kontakt: volker.luedecke@yahoo.de

Textfassung:  
HOFFEST

Klint, schlafend im Bett. Neben dem Bett Bierdosen, Plastiktüten, Wecker. Sein Bierbauch hebt und senkt sich. In seinen Ohren stecken zerknüllte Taschentücher.
Klint wacht durch Hundegebell auf, schaltet eine Lampe an. Geräusche, Musik und lauter werdende Stimmen dringen durch die Wände des Mietshauses herein.

Klint:
Ein Nichts ist man, ein Nichts! Aber früh aufstehen soll ich. Der Hund da oben!
Schweißnass. Dreiuhr durch.
Morgen muss ich, darf ich nicht vergessen. Heute! Hundertachtundsiebzig Tage noch. Endlich Urlaub! Ich reise mit dem Flieger, raus und drüber weg. Schnauze, Mistvieh, Platz!
Hat eine Darmkolik, vermisst sein Herrchen.
Das war`s für diese Nacht: zwei Stunden Schlaf, acht Stunden Arbeit! Tierquäler! Lassen den Hund alleine, dass er weint.
Esst selber Dosenfutter! Hör auf zu jaulen, du stinkender Chappifresser!


Klint setzt sich im Bett auf.


Klint: Ich zahle mehr als die da oben, und darf laut Mietvertrag kein Haustier halten. Seit Generationen hausen die über mir, machen Lärm! Aus Langeweile! Unkündbar!
Trampeln, toben sich aus. Kassieren Gelder, und kaufen Hundefutter! Schmarotzer! Hausbesitzer wäre ich auch gern. Mieten rauf, damit die ausziehen müssen!

Ein lang gezogenes Hundegeheul. Klint heult mit. Der Hund verstummt, Klint heult wie ein Kojote weiter.

Klint: Grausam, der Hund hat Trauer. Wie wenn sie tot sind. Sind sie etwa tot?
Nachbarn lagen tot, tagelang in ihrer Wohnung. Von herzlosem Nachbarn unentdeckt. Ihr Hund kam um. Vor Kummer.
Wie schrecklich anonym ist diese Stadt!

Er ruft laut in Richtung Zimmerdecke.

Klint: Erst wenn euer Mageninhalt durch meine Decke sickert, schlage ich Alarm.

Der Ton eines Videos wird laut, das jemand in einer Nachbarwohnung schaut.

Klint: Dolby Surround! Haha, Herr Nachbar ist auch endlich aufgewacht. Muss eine halbe Stunde später raus für die Karriere, Heimkinoheini! Der Zuckerhund da oben wird mir heute noch sympathisch.

Gegen die Wand der Nachbarwohnung gerichtet schreit Klint.

Klint: Wenn du soviel verdienst, dann zieh doch an den Wannsee! Billigen Wohnraum besetzen? Doppelt kassieren? Ruhe! Pornovideovoyeur!
Jeden Abend Gestöhne, Wichslärm. Geh doch ins Stundenhotel mit deiner Glotze! Bei Stress schüttelt der ab. Und wann hat der mal keinen?

Klint schlägt mit den Fäusten gegen die Wand.

Klint: Beamtenarsch! Schwarzgeldkassierer! Fühlt sich hier als Herr im Haus, nur weil sein Gehalt jedes Jahr automatisch steigt. Rolltreppe in den Himmel! Tritt auf der Stelle, und wird trotzdem größer.

Klint hämmert mit einem Schuh gegen die Wand.

Klint: Schalt deine Terrorschallanlage aus, oder ich meißele mich durch diese Pappe! Dann trete ich in Erscheinung.

Klint baut sich drohend vor der Wand auf. Plötzliche Stille. Klint weicht vor der Wand zurück, geht in Deckung.

Klint: Der geht Jagen bei Wandlitz, übt auf dem Schießstand. Reiz den Eber nicht zu sehr, sonst rennt er dich über den Haufen. Ich war`s nicht, Herr Nachbar. Das war der Hund.

Stille, dann ein leises Geräusch vom Hinterhof. Eine einzelne Flasche fällt im Hof in die Glastonne.

Klint: Das muss der Müllsortierer sein. Parterre, die Familie ist im Urlaub.

Klint öffnet sein Fenster zum Hof.

Klint: Überraschung! laut hinaus rufend Dich zeige ich an wegen Ruhestörung! Wenn du noch einmal frühmorgens die Mülltonnen kontrollierst, dann entsorge ich dich gleich mit!

Klint schließt das Fenster, lacht in sich hinein.

Klint: Nur immer fürs reine Gewissen selektiert! Die wirklichen Verbrechen kommen nicht ans Licht!

Klint öffnet das Fenster wieder, schreit hinaus in den Hof.

Klint: Anti-Atomkraft-Öko!

Klint schließt das Fenster, lacht wieder in sich hinein. Musik schallt in den Hinterhof. Klint wird noch wütender.

Klint: Pass auf, dass dir die Endstufe nicht durchknallt! Bei deinen schäbigen paar Watt Musikleistung!

Klint schließt das Fenster, lacht wieder in sich hinein. Kann sich vor Lachen kaum einkriegen.

Klint: Je eher sie durchknallt, desto besser!

Die Musik im Hof wird immer lauter und verzerrter. Klingt bereitet sein Frühstück.

Klint: Wie vor fünfzehn Jahren. Hoffest. Mieter machen was gemeinsam. Schallplatten tauschen, Pizza backen, fassweise saufen. Nicht schlecht! Danach ging meine Müsli Ehe in die Brüche. Und Schlägerei im Treppenhaus.
Kein Hoffest mehr, man geht sich seitdem aus dem Weg.
Schön! Der Müllsortierer will mir mein Weißblech Dosenbier vermiesen. Der einzig gute Mensch im Haus! Kriegt sein Leben nicht geregelt, aber denkt an die Zukunft kommender Generationen!

Eine Glasflasche zerschellt laut im Hinterhof.

Klint: Das war Helgas Nachtflasch! Sie will jetzt schlafen. Vierter Stock, ganz oben. Ihr Glück ein Scherbenhaufen! Soll der alte Besen fegen! Alleinerziehende Mutter.

Klint frühstückt.

Klint: Den Bengel erziehe ich dir, habe ich ihr angeboten. Wollte sie nicht. So schön bist du schon lange nicht mehr, Mutter!
Der Vater der Rotzgöre: ein Urlaubsschnäppchen! Kam beim Hoffest raus. Bauarbeiter in Spanien! Zahlung? Nicht mehr zu ermitteln! Aber ich bin ihr nicht fein genug!


Klint zieht Anzug und Krawatte an. Sieht darin aus wie ein mittlerer Büroangestellter. Betrachtet sich im Spiegel.

Klint: Nun ist der Traumschlaf uns vorbei. Dafür der Tagtraum gratis. Und, prachtvoll gefärbt von reflektierter Morgenröte, bietet sich ein Schauspiel, das jeder hohen Weihe trotzt. Denn es bedient die schlichte Lust, die Schadenfreude, und den niederen Geschmack.

Klint nimmt seine Aktentasche und verlässt die Wohnung.

Linkliste

Das Copyright und die Aufführungsrechte der Minidramen Hoffest und Brüsseler Spitzen sind bei:
http://www.felix-bloch-erben.de/index.php5/pid/72/cid/1/stueck/Berlin+Stadtbahn/Action/showPlay/fbe/101/

Tuesday, November 22, 2005

Bruesseler Spitzen

Wolfgang Hosfeld und Eckart Strehle in der Inszenierung von Britta Geister Text: Volker Lüdecke
Musik: Manfred Effinger


Maxim Gorki Theater 2000, zu Gast in der Werkstatt des Schiller Theater in Berlin.







Brüsseler Spitzen von Volker Lüdecke


Rastplatz in einer ländlichen Gegend. Taxifahrer, am Taxi lehnend, beobachtet seinen Fahrgast. Der uriniert in seine Schuhe.

Taxifahrer:
Immer weg halten vom Wind, mein Herr, hier weht eine steife Briese.
Böckwitz:
Raus aus dem Schlamassel, raus! Im Flieger gibt´s Cognac und hübsche Stewardessinnen.
Taxifahrer:
So kann ich Sie nicht ins Taxi lassen, das läuft am Hosenbein runter ins Schuhwerk, ich bitte Sie.
Böckwitz:
Die in Brüssel können mich mal.
Taxifahrer:
Das kostet Sie eine Reinigung.
Böckwitz:
Gekauft, verkauft, das ist Lobbyismus. Ich habe verkauft. Ich bin der Letzte.
Taxifahrer:
Ich verlange den Fahrpreis plus Reinigung. Sie zahlen sofort. Den Gestank hält kein Mensch aus.
Böckwitz:
Vom Vater zum ältesten Sohn. Die Erbfolge. Nachweisbar seit Fünfzehnhundertsiebenundzwanzig. Ich bin der Letzte, der Letzte.
Taxifahrer:
Mein Vater war auch Kutscher. Das Geschäft ist miserabel, aber ich pisse mich doch nicht ein deswegen.
Böckwitz:
Dummheit und Stolz wachsen auf einem Holz.

Schweigen.

Taxifahrer:
Fertig?
Böckwitz:
Ich habe eine Phimose, wie der Doktor sagt: Phimose! Der Viehdoktor. Schweinemastbetrieb. War ein stattlicher Hof, früher.

Der Taxifahrer singt.

Taxifahrer:
Eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs, sieben, wo ist meine Frau geblieben ...
Böckwitz:
Mein Landarbeiter baumelte in der Scheune am Seil. Recht hatte er, das ist meine Meinung.
Taxifahrer:
Flexibel muss man sein.

Schweigen.

Taxifahrer:
Fertig?
Böckwitz:
Meine Kreditkarte ist so schwer, die lassen sie mir nicht im Handgepäck. Der schöne Hof, ein klitzekleines Stückchen Plastik!

Böckwitz furzt.

Taxifahrer:
Ich kann ja fahren wie der Teufel, aber trotzdem haben sie ihren Flieger verpasst, wenn das Vögelchen hier `rüberschwebt.
Böckwitz:
Dich kauf` ich samt deinem Taxi. Dann lasse ich dich in Einzelteile zerlegen. So machen sie`s mit den Höfen. Es herrscht Monokultur.
Taxifahrer:
Die Taschen voll Geld und jammern. Lügen muss ich mir anhören, sobald Fahrgäste reden. Nur wer schweigt, redet die Wahrheit.

Böckwitz will ins Taxi einsteigen. Der Taxifahrer hindert ihn daran.


Taxifahrer:
Nicht mit den Hosen, nicht mit den Schuhen.
Böckwitz:
Was gegen Bauern?
Taxifahrer:
Sie sind kein Bauer mehr, Sie haben verkauft.

Böckwitz packt den Taxifahrer, drückt ihn gegen das Taxi.

Böckwitz:
Wie hoch ist der Preis für ein Ferkel? Wie niedrig für ein Jungschwein? Futtermittel kostet auch was, du Lump! Ohne Subventionen bleibt dem Bauern nichts. Nur die Großen überleben, du Wicht!
Taxifahrer:
Lassen Sie mich los, sonst verweigere ich die Weiterfahrt.
Böckwitz:
Kein Bauer soll ich sein? Was, was, was denn sonst?

Böckwitz lässt ihn los. Der Taxifahrer sinkt zu Boden und kriecht auf dem Boden aus seiner Reichweite. Dann verriegelt er das Taxi per Fernbedienung. Böckwitz versucht gewaltsam, die Tür zu öffnen. Es gelingt ihm nicht.

Taxifahrer:
Was, was, was? Zentralverriegelt!

Böckwitz lässt ab. Der Taxifahrer betätigt die Fernbedienung, das Taxi ist wieder offen. Böckwitz will schnell die Tür öffnen, die Zentralverriegelung schnappt wieder zu.

Taxifahrer:
Servolenkung, ergonomische Sitze, Sendersuchlauf, und über zweihundert KmH-Spitze. So, und jetzt lassen Sie die Hosen runter, sonst Adé, Sex-Urlaub im fernen Asien.
Böckwitz:
Wie die Bauern in Frankreich stehe ich auf! Da brennt schon mal ein LKW! Die kitzeln die Mächtigen mit dem Schlachtermesser. Ein Drittel der Höfe wird bei uns in die Pleite getrieben. Wo bleibt der Bauernaufstand, wo? Erduldet wird alles, was von oben kommt, was nützt ein Einzelner, der sich wehrt?
Taxifahrer:
Kennt man ja, die Unternehmer, die jammern, wenn die Profitrate leicht fällt. Einen Unternehmeraufstand habe ich allerdings noch nicht erlebt. Wer bekommt denn in Europa die dicksten Subventionen? Die Landwirte. Und jetzt die Hosen runter, Herr Großbauer! Ich reiche Ihnen gern feines, neues Tuch aus Ihrem Gepäck.
Böckwitz:
Sie haften, verpasse ich meinen Flieger.
Taxifahrer:
In Ihrem Gestank fahr` ich nicht fort.

Der Taxifahrer öffnet den Kofferraum, macht sich an Böckwitz Koffer zu schaffen, brummelt vor sich hin.

Taxifahrer:
Kein Tag ohne Ärger! Vierzig Prozent Durchgeknallte mindestens täglich! Ich frage mich manchmal, ob das nur hier in der Gegend so schlimm ist, oder überall. Was kommt denn da zum Vorschein?

Der Taxifahrer zieht eine weibliche Gummipuppe aus dem Koffer. Böckwitz ist mit sich selbst beschäftigt.

Taxifahrer:
Wundert mich nicht. Welche Frau möchte sich heutzutage auf dem Land beerdigen lassen. Lieben Sie die?
Böckwitz:
Hände weg von meiner Frau! Ich bringe dich um, du geiler Bock, Hurensohn!

Böckwitz zieht ein Jagdmesser aus seiner Trachtenjacke, der Taxifahrer flüchtet lachend mit der Gummipuppe um das Taxi herum, verfolgt von Böckwitz, der bald keuchend innehält. Böckwitz krümmt sich, als ob er sich übergeben müsste, dann sticht er unvermittelt auf einen Reifen des Taxis ein.

Böckwitz:
Zuerst wird der Arbeitsplatz vernichtet, dann der Mensch.
Taxifahrer:
Halt! Ich fahre Sie, es tut mir leid. Bitte, steigen Sie ein! Habe mir nur einen Scherz erlaubt, mein Gott, der Stress jeden Tag, entschuldigen Sie!
Böckwitz:
Jetzt wirst du erleben, wie es mir ergangen ist.
Taxifahrer:
Hallo, Ihr Flieger wartet nicht. Zum Flughafen, Sie müssen einchecken, Ihr neues Leben beginnt. Ich wechsele schnell den Reifen, dann schaffen wir es noch.

Böckwitz geht um das Taxi herum und sticht auf den nächsten Reifen ein.

Böckwitz:
Das wird hier gründlich erledigt. Jetzt pflüg` ich den Acker, wie`s mir gefällt. Und dann Adé, krankes Land, auf nach Australien, wo es Land gibt für Farmer und keine EU.

Der Taxifahrer, mit einem Wagenheber bewaffnet, baut sich drohend vor Böckwitz auf.

Taxifahrer:
Aufhören, Sie perverser Schweinezüchter!

Böckwitz hört mit dem Reifenstechen auf, entfernt sich vom Taxi, nimmt einen Stein und schleudert ihn in die Frontscheibe, die zersplittert.

Böckwitz:
Wie in Frankreich: Aufstand, Revolution! Wer ernten will, muss sähen.

Der Taxifahrer holt das Mikrofon vom Funkgerät aus dem Taxi und spricht hinein.

Taxifahrer:
Zentrale! Zentrale, bitte!
Böckwitz:
Beistand von oben, was? Den hätte ich mir auch herbei gewünscht. Aber wir sind hier auf dem Land, Bürschchen, das kann dauern.

Böckwitz reisst die Antenne aus dem Dach des Taxis. Das Funkgerät funktioniert nicht mehr. Böckwitz drischt mit der Antenne auf das Taxi ein, zerkratzt den Lack.


Böckwitz:
Jetzt zeige ich dir mal, wie man früher das Korn drosch.

Der Taxifahrer stürzt sich auf Böckwitz, sie ringen gegeneinander. Böckwitz nimmt ihn in den Schwitzkasten, schnürt ihm die Luft ab.

Böckwitz:
Ellenbogen braucht der Mensch. Fit musst du sein, vor allem wenn sie dir die Luft abschnüren. Da bleibt der Raucher auf der Strecke.

Böckwitz stösst den Taxifahrer zu Boden, nimmt seinen Koffer, legt behutsam die Gummipuppe hinein.

Böckwitz:
So, Muttchen, jetzt machen wir endlich Urlaub.

Böckwitz geht mit seinem Koffer zur Straße.

Copyright und Aufführungsrechte: Volker Lüdecke volker.luedecke@yahoo.de

Linkliste

Eckart Strehle in Brüsseler Spitzen, Maxim Gorki Theater, Berlin 2000











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